Ein Kollege sagte tatsächlich nach den ersten Nächten, die er zuvor über seine neue Smart Watch eines namhaften Herstellers mit Obst-Emblem aufzeichnen ließ, ganz stolz zu mir: „Guck mal, fast 100% Tiefschlaf! Super!“ Wow. 100% Tiefschlaf. Ich war platt. Und ich wusste im ersten Moment dann nicht so genau, warum. Die Optionen waren: a) aufgrund dessen, dass unausgereifte Technik und nahezu gewürfelte Daten und darauf aufbauende Random-Beratschlagung verkauft wird, b) aufgrund eines scheinbar klinisch höchst auffälligen Schlafverhaltens oder c) aufgrund mangelnden Wissens über Schlafarchitektur. Soviel soll gesagt sein: es mangelte ihm an Wissen und einem gescheiten Schlaftracker und nicht an adäquatem Schlaf.
Schlaf besteht also nicht aus 100% Tiefschlaf, er sollte es auch übrigens nicht. Als Sportler profitiert man im Tiefschlaf, dem sogenannten N3-Schlaf, körperlich tatsächlich am meisten. Dennoch ist es wie mit allem: Die Mischung macht`s.
Schlaf teilt sich aus biologischer Sicht in insgesamt fünf Phasen auf:
Leicht- und Tiefschlaf, also N1 bis N4 werden auch als Non-REM-Schlaf definiert.
Diese fünf Phasen durchläuft der schlafende Organismus in der aufgezählten Reihenfolge und schließt dann mit der REM-Phase einen gesamten Schlafzyklus ab.
Ein solcher Schlafzyklus umfasst im Schnitt eine Dauer von 90 Minuten und wiederholt sich bei einer circa achtstündigen Nachtruhe ungefähr fünf Mal. Ja, das bedeutet auch, wir wachen ungefähr vier Mal pro Nacht kurz auf, bevor der nächste Zyklus mit N1 von vorne beginnt und wissen jedoch meistens morgens davon nichts mehr. Nicht jeder Schlafzyklus ist in der Verteilung seiner Schlafphasen gleich. In der ersten Nachthälfte (Vitalschlaf) treten mengenmäßig mehr, also längere Tiefschlafphasen auf, in der zweiten Nachthälfte (Optionalschlaf) mengenmäßig mehr Leicht- und REM-Schlaf.
Am besten kann man die verschiedenen Phasen im EEG voneinander abgrenzen, da die Hirnwellen, die in ihnen vorkommen, unterschiedlicher Länge sind. Grob kann man daher sagen: je länger die Hirnwellen, desto tiefer der Schlaf. Je kürzer die Hirnwellen, desto aktiver das Hirn.
Die beiden Leichtschlafphasen N1 und N2 unterscheiden sich in ihrer Tiefe und demnach auch in ihrer Hirnwellenlänge. N1 kann man sich übrigens als Schlafender noch am besten vorstellen, da dieses Stadium dem Wachsein am nächsten ist – im Prinzip ein Zustand tiefer meditativer Entspannung, das Loslassen in den bewusstlosen Zustand. Apropos bewusstlos – hier muss ich den geschätzten Kollegen Albrecht Vorster um seine geniale (von mir aus dem Gedächtnis widergegebene) Definition von Schlaf erleichtern: Schlaf ist ein Zustand verminderter bis keiner Reaktionsfähigkeit, welcher aber leicht reversibel ist – das unterscheidet ihn von Koma und Tod.
Zurück zu N1 und N2, den Leichtschlafphasen. Von kurzen Alpha- und Betawellen im wachen Zustand sinken wir und unsere Hirnwellen dann über einen meditativen Zustand (Alpha- und Thetawellen) in den längeren Hirnwellenbereich der Thetawellen (vier bis acht Hertz) und kommen damit in N1 an. In dieser Phase sind wir noch relativ leicht zu wecken, sie dauert in etwa zehn Minuten an. N2 ist ebenfalls von Thetawellen gekennzeichnet (diesmal circa elf bis 16 Hertz), wird aber erstmalig von periodischen Schwankungen innerhalb dieser Thetawellen durchzogen. Diese Schwankungen nennen wir Schlafspindeln und K-Komplexe. Schlafspindeln überlagern die regulären Thetawellen und schützen den Schlafenden im Folgenden vor dem Eindringen von Umgebungsgeräuschen ins Bewusstsein. Die Hirnaktivität in N2 ist höher als in N1, daher können wir auch bereits träumen. Eine solche N2-Phase dauert 20 bis 30 Minuten an. Insgesamt macht der Leichtschlaf einen Prozentsatz unserer gesamten Schlafdauer von ungefähr ein wenig mehr als 50% aus, das sind dann bei einer Acht-Stunden-Nacht ganze vier Stunden. In Leichtschlafphasen werden übrigens motorische Fähigkeiten verbessert.
Auf die Leichtschlafphasen folgen im direkten Anschluss dann die beiden Tiefschlafphasen N3 und N4. Sie werden in der Literatur oft zusammengefasst, was auch in unserem Fall dem einfacheren Verständnis dient. Die beiden Tiefschlafphasen zeichnen sich durch die längsten unserer Hirnwellen, die Deltawellen (null bis acht Hertz) aus. Wir erinnern uns: je länger die Hirnwellen, desto tiefer dann der Schlaf. Trotzdem können wir in diesen Phasen auch träumen. In diesen beiden Phasen ist unsere Muskulatur tief entspannt, der Puls, die Herzfrequenz, der Blutdruck und die Körperkerntemperatur sind niedrig. Der Stress auf Gefäßwände wird reduziert und sogenanntes HGH (human growth hormone), also Wachstumshormone, werden frei. Diese Schlafphase ist daher auch die Hauptreparaturphase für körperlichen Verschleiß und Verletzungen. Gerade Sportler sollten sich bewusst sein, dass Mikroverletzungen der Muskulatur und kardiovaskuläre Konsequenzen nach Belastung nahezu ausschließlich in Tiefschlafphasen behoben werden können. Kognitiv werden Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis infolge selektiert und Synapsen, also neuronale Verbindungen, gelöst, welche nicht mehr gebraucht werden und das sogenannte glymphatische System wird aktiviert. Es sorgt dafür, dass dann metabolische Abfallstoffe aus dem cerebralen Raum ausgeschwemmt werden können. Bei einer Dysfunktion oder dauerhaft mangelnder Schlafqualität kann dies dazu beitragen, dass neuronale Erkrankungen wie Alzheimer wahrscheinlicher eintreten. Die Tiefschlafphasen machen ungefähr 20% unserer Nacht aus.
Die letzte unserer Schlafphasen, der REM-Schlaf, bekam seinen Namen als Abkürzung des Ausdrucks rapid eye movement. Während der Zeit in diesem Stadium bewegen wir dann unsere Augen unter den Lidern schnell und zuckend hin und her. Unsere Hirnaktivität im REM-Schlaf ist interessanterweise mindestens genauso hoch wie im wachen Zustand und gekennzeichnet durch Alpha- und Betawellen. Damit wir in dieser Haupttraumphase nicht ausführen, was wir uns in unseren Träumen zusammenfantasieren, wird zu Beginn jeder REM-Einheit ein Signal unser Rückenmark heruntergeschickt, welches dann unsere Skelettmuskulatur komplett lähmt (REM-Atonie). In dieser Phase verarbeiten wir Emotionen und integrieren die im Tiefschlaf ausgewählten Informationen dann in unser Langzeitgedächtnis. Die kumulierte Dauer unseres Rem-Schlafs macht etwas mehr als 20% unserer Nacht aus. Würden wir den beschriebenen Phasen unseres Tages und unserer Nacht jeweils einen Titel zuweisen, so wäre der Wachzustand der „Empfang“ (von Informationen), die non-REM-Phasen die „Reflexion“ und die REM-Phasen die „Integration“.
Im 2. Teil unserer Schlafserie dreht sich alles um den Einfluss von Ernährung auf den Schlaf und umgekehrt.
Quellen
Van Cauter, E. and G. Copinschi. „Interrelationships between Growth Hormone and Sleep.“ Growth Hormone & IGF Research 10, suppl. B (2000): S57-62.
Walker, M. & Brakefield, T. & Morgan, A. & Hobson, J. & Stickgold, R. (2002). Practice with sleep makes perfect: sleep-dependent motor skill learning. Neuron 35 (1): 205–211.